Wie Sie die Tür zur inneren Weisheit Ihrer KlientInnen öffnen können
Annemiek van Helsdingen, Sigrun Saunderson & Lisa Jara
(Erschienen im Magazin "Blickpunkt EFL-Beratung" November 2023)
Die Körperpsychologie zeigt uns den Weg: Der Körper und die damit verbundenen Wahrnehmungen eines Menschen sind intrinsisch mit seiner Psyche und seinem Verhalten verbunden. Im Körper sind wichtige Informationen gespeichert, die über das analytische Denken einfach nicht erreichbar sind. Durch eine Kombination aus achtsamem Raumhalten, speziellen Fragen (Clean Language) und Metapher-Arbeit können diese Informationen hervorgeholt werden. Das Ergebnis sind Veränderungsprozesse, die von innen heraus geschehen und nachhaltig wirken. Coach oder TherapeutIn begleiten solche Prozesse ähnlich wie Hebammen die Geburt eines Kindes. Die Methode heißt Soul-based Coaching (SBC).
„KlientInnen tragen alles in sich, was sie brauchen, um die ersehnte Veränderung in ihrem Leben zu erreichen. Sie brauchen nur ein wenig Unterstützung, um die dafür nötigen Puzzleteile zu finden.“ – Diese Aussage würden wohl viele TherapeutInnen sofort unterschreiben. Wie sehr lässt sich diese Überzeugung dann aber in einer Sitzung tatsächlich umsetzen? Und was, wenn Neurodiversität im Spiel ist?
Verstehen ist nicht notwendig
Neurodiverse KlientInnen reagieren nicht immer so auf Interventionen, wie es neurotypische KlientInnen tun. Und natürlich gibt es auch innerhalb neurodiverser Reaktionen große Unterschiede. Wenn aber Reaktionen nicht „nach Plan“ laufen, kann es verlockend sein, sie als „Störungen“ zu bezeichnen. Nur weil wir die innere Logik der KlientInnen (noch) nicht verstehen. Können wir dann trotzdem die dem System eines Menschen innewohnende Weisheit respektieren? Können wir sogar mit ihr arbeiten, obwohl wir sie nicht verstehen?
In diesem Artikel stellen wir einen der direktesten Wege zur inneren Weisheit von KlientInnen vor – und zwar sowohl von neurotypischen als auch von neurodiversen KlientInnen. Die Kombination von Raumhalten, Clean-Language-Fragen und der Arbeit mit Metaphern bringt KlientInnen rasch in einen Zustand der erholsamen verkörperten Selbstwahrnehmung (ein psycho-physiologischer Zustand, wie er von Prof. Alan Fogel beschrieben wird). Dieser aktiviert in KlientInnen deren angeborene Fähigkeit zu heilen und zu wachsen.
Die verkörperte Selbstwahrnehmung
Als verkörperte Selbstwahrnehmung bezeichnet Fogel einen Zustand, in dem der Klient/die Klientin sich mit der eigenen interozeptiven Wahrnehmung verbindet – also Empfindungen wie Energie, Leichtigkeit, Jucken oder Kribbeln – im Körperinneren erfasst. Die Propriozeption ist ebenfalls aktiviert, dabei handelt es sich um die gefühlte Wahrnehmung des eigenen Körpers in Relation zur Umgebung und zu anderen Menschen, wie zum Beispiel Ausgeglichenheit oder Unausgeglichenheit, Starre oder flüssige Bewegung, Abgrenzung oder deren Fehlen. Auch autonomes Nervensystem, Hormonsystem und Immunsystem sowie die Emotionen können in diesem Zustand deutlich wahrgenommen werden.
Die neuronalen Netze dieser vier unterschiedlichen Typen des fühlbaren Erlebens sind verbunden mit dem autonomen Nervensystem, dem Herz-Kreislauf-System, den Atmungsorganen sowie dem Verdauungs-, Hormon- und Immunsystem. Diese Systeme können alle auf gesündere Art funktionieren, wenn Körperempfindungen und Emotionen direkt wahrgenommen werden. Und genau hier liegt auch unsere Fähigkeit zu heilen und uns zu entwickeln. – Oder, wie es eine Klientin einmal während einer unserer Sitzungen ausdrückte: „Etwas zu wissen, reicht nicht. Du musst es fühlen!“
Stress und Trauma haben eine direkte Auswirkung auf die verkörperte Selbstwahrnehmung. Sie können laut Fogel das Körpergefühl verändern und diese für Überleben und Selbstregulierung essenziellen Bahnen blockieren.
Erholsame verkörperte Selbstwahrnehmung (RESA): Leichtigkeit und Frieden
Die erholsame verkörperte Selbstwahrnehmung (RESA, Restorative Embodied Self-Awareness) ist eine spezifische und besonders kraftvolle Art der Selbstwahrnehmung. Sie dauert länger an und wird völlig im Moment erlebt. Dieser Zustand hilft Körper und Geist dabei sich auf physischer Ebene zu erneuern und bewirkt sowohl Heilung als auch eine plötzliche Klarheit, ohne dass angestrengtes Nachdenken nötig wäre.
Unterstützt wird RESA durch nicht-abstrakte Gedanken in Form von Worten und Bildern. Dazu gehören freie Assoziationen, Tagträume und die tatsächlichen Erinnerungen, die sich echter und lebendiger anfühlen als das, was wir darüber erzählen können. – Wer hingegen logische Gedanken, Bewertungen, Pläne, Strategien oder Interpretationen hat, befindet sich wahrscheinlich in der modulierten verkörperten Selbstwahrnehmung, jener Zustand, mit dem die meisten therapeutischen Methoden arbeiten.
Diese Unterscheidung ist wichtig, denn in der erholsamen verkörperten Selbstwahrnehmung ist sowohl der ventrale Vagusnerv des parasympathischen Nervensystems als auch der dorsale Vagusnerv aktiviert, der den Organismus ruhigstellt, wenn eine Situation als sicher eingeschätzt wird. Ein Gefühl von Leichtigkeit, Wärme, Frieden und Zufriedenheit macht sich breit. Zusätzlich entsteht während RESA eine warme und wohlwollende zwischenmenschliche Verbindung. (Wer hingegen gerade darüber nachdenkt, was er oder sie sagen oder tun soll, wer sich bemüht, sich in Gegenwart Anderer richtig zu verhalten, wer sich Sorgen macht, wie er oder sie aussieht oder klingt, der/die ist entweder in modulierter oder in dysregulierter Selbstwahrnehmung.)
Laut Professor Fogel kommt die erholsame verkörperte Selbstwahrnehmung selten in einer Therapiesitzung vor. In unserer Arbeit als Soul-based Coaches sehen wir diesen Zustand allerdings regelmäßig. Und wir werden hier erklären, warum das so ist. Fogel stellt auch fest, dass unsere eigene Fähigkeit, RESA zu erleben Voraussetzung dafür ist, dass wir unsere KlientInnen in diesen Zustand einladen können. Dem können wir aus unserer Erfahrung heraus zu 100 Prozent zustimmen.
Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht
Unsere KlientInnen kommen oft nach einer längeren Leidensphase zu uns. Sie haben dann ein starkes Bedürfnis sich endlich besser zu fühlen und Veränderung zu erfahren – und zwar am besten jetzt sofort. Das kann auch dazu führen, dass sich der Therapeut oder die Therapeutin (unbewusst) dazu gedrängt fühlt, diese schnellen Resultate zu liefern.
Wenn wir hingegen während unserer Interventionen bewusst die Geschwindigkeit herausnehmen und zunächst damit beginnen für die Erfahrungen des Klienten/der Klientin Raum zu halten, dann wird das Fundament gelegt für Heilung und Veränderung. Dieses Fundament wirkt wie ein Flussbett für die spätere Entfaltung des KlientInnenprozesses. Und paradoxerweise tendiert diese Vorgangsweise auch dazu, den Prozess sogar zu beschleunigen. Im Soul-based Coaching beginnt daher alles mit dem Raumhalten.
3 Werkzeuge, um RESA zu aktivieren
1. Was ist Raumhalten?
Raum für einen Klienten/eine Klientin zu halten, das bedeutet vollkommen präsent zu sein, mit Empathie und Mitgefühl die Erfahrungen des Gegenübers beobachtend wahrzunehmen ohne zu kommentieren oder einzugreifen (Definition laut Academy for Soul-based Coaching). Die Praxis des Raumhaltens ist eine nützliche Ergänzung im Werkzeugkoffer aller TherapeutInnen, weil es den KlientInnen das ausdrückliche Gefühl gibt, genauso, wie sie gerade sind, willkommen zu sein. Es bestärkt und bestätigt ihr Erleben, wenn sie erzählen können, ohne unterbrochen zu werden und ohne sofort etwas mit dem Erzählten tun zu müssen.
Raumhalten lädt KlientInnen auch dazu ein, vom erzählten Vergangenen direkt ins Hier und Jetzt zu kommen: Sobald sie ihre Gedanken, die sie so schon hunderte Male gedacht haben, ausgesprochen haben und dabei mit Mitgefühl empfangen wurden von jemandem, der oder die auch im Hier und Jetzt und im eigenen Körper präsent ist, dann beginnt sich ein neues Informationsfeld für die KlientInnen zu öffnen. Diese Informationen kommen durch die vielen Bewusstseinsschichten, zu denen der Körper Zugang hat, an die Oberfläche. Analog zur verkörperten Selbstwahrnehmung nach Professor Alan Fogel.
Die sechs Prinzipien des Raumhaltens (wie sie in der Academy for Soul-based Coaching gelehrt werden)
1. Wir lassen Erwartungen los.
2. Wir lassen Bewertung und Beurteilung los.
3. Wir öffnen unser Herz und verbinden uns.
4. Wir bleiben präsent.
5. Wir haben tiefes Vertrauen.
6. Wir schreiten nur ein, wenn etwas geschieht, das nicht mehr im Interesse der anderen Person ist.
2. „Saubere“ Fragen
Soul-based Coaching kombiniert drei Elemente, die gemeinsam die Wahrscheinlichkeit maßgeblich erhöhen, dass KlientInnen während der Sitzung in einen anhaltenden Zustand der erholsamen verkörperten Selbstwahrnehmung kommen. Ein achtsames Raumhalten ist ganz wesentliche Voraussetzung dafür. Diese innere Haltung der Präsenz, Wertfreiheit und Absichtslosigkeit zieht sich durch die gesamte Sitzung. Doch das heißt nicht, dass wir nichts tun.
Als eine Art Navigationswerkzeug verwenden wir ausschließlich Fragen aus der Clean Language. Diese Fragen sind bewusst so formuliert, dass sie praktisch nichts suggerieren, vorwegnehmen oder nahelegen. [SiSa2] Alle Inhalte der Sitzung kommen daher ausschließlich aus dem Klienten/der Klientin selbst. Zu diesen Inhalten werden weitere „saubere Fragen“ gestellt, bis sich ein klares Bild über das System des Klienten/der Klientin ergibt – immer im Zusammenhang mit dem vorab vereinbarten Thema. Je klarer das Bild des Ist-Zustandes im Vergleich zum zukünftigen erwünschten Zustand wird, desto leichter wird erkennbar, an welcher Stelle Veränderung geschehen muss, um das Ziel zu erreichen. Und 35 Jahre Erfahrung zeigen, dass sich die Lösung dem Klienten/der Klientin dann irgendwann von selbst präsentiert.
3. Magische Metaphern
Die Arbeit läuft dabei hauptsächlich über Metaphern ab, innere Bilder, die ebenfalls von den KlientInnen selbst kommen und sich meist automatisch zeigen. Während Erzählungen und abstrakte Gedanken den analytischen Teil des Gehirns zu reiner Denkarbeit anregen, stehen Metaphern im direkten Zusammenhang mit dem Erleben des Klienten/der Klientin – und können direkt in die verkörperte Selbstwahrnehmung führen, sofern sie mit Hilfe von Clean-Language-Fragen entwickelt wurden.
So lange wir unseren KlientInnen im Bereich der inneren Bilder begegnen, kann diese Verkörperung über längere Zeit anhalten. Gleichzeitig halten wir den Raum frei von Bewertung und Beurteilung. Der Klient/die Klientin kann sich also in seinem/ihrem So-Sein völlig sicher fühlen. Frontaler und dorsaler Vagusnerv sind auf innere Ruhe eingestellt, die erholsame verkörperte Selbstwahrnehmung setzt ein, was wiederum bedeutet, dass Körper und Geist sich regenerieren und plötzliche Klarheit – und damit verkörperte Veränderung – möglich wird. Die Tür zur inneren Weisheit des Klienten/der Klientin ist geöffnet.
Beispiel eines SBC-Prozesses
Eine Klientin, die seit ihrem 18. Lebensjahr Raucherin war und schon mehrmals versucht hatte damit aufzuhören, konnte in nur drei Sitzungen von 15 Zigaretten pro Tag zu nikotinfreien E-Zigaretten wechseln. Zwei Monate später berichtete sie, dass sie immer wieder über lange Zeitabschnitte ihre Gewohnheit völlig vergisst. Ihr ausgesprochenes Ziel war, frei von der Abhängigkeit zu sein. Frei wie ein Schmetterling, der zu Beginn der Arbeit noch in ihrem metaphorischen Herzen eingesperrt war. Befreit werden konnte er durch eine reiche Quelle von Lebenskraft, die durch sie hindurchfloss. Allerdings wurde diese von „etwas Dunklem“ blockiert. Dieses „Dunkle“ stellte sich als zur Faust geschlossene Hand heraus, in der ein kleines, verschrecktes Kind saß. Als sich die Faust öffnete, wurde viel an alter Emotion frei, für die es galt einfach nur Raum zu halten. Schließlich wanderte das Kind von selbst in das Herz der Klientin, die Lebenskraft konnte ungehindert fließen und der Schmetterling war frei. – Ihre Erkenntnis: „Diese Sucht war eine Sehnsucht danach, heimzukommen zu mir selbst.“ Und genau das war bereits in ihrer inneren Metaphern-Landschaft geschehen. Ohne mentale Schwerarbeit und ohne Geschichten aus der Vergangenheit aufwühlen zu müssen.
Auf diese Weise finden KlientInnen auch ihren Traumjob, lösen ihre Beziehungsangst, finden zu innerer Balance oder schreiben endlich ihr Buch. Immer geleitet von ihrer eigenen inneren Weisheit, findet Veränderung bereits während der Sitzung statt und wird als neue Information direkt im Körper integriert.
Schlussfolgerung
Was David Grove vorzeigte und was wir in den letzten 15 Jahren gesehen haben, ist die Tatsache, dass wir auf diese Art KlientInnen über alle Varianten von neurodiversen und neurotypischen Erfahrungen hinweg begleiten können. Wir können nahe dranbleiben an der individuellen Art jedes Klienten/jeder Klientin, wie er/sie die Welt erfährt und verarbeitet. Und wir können deren System dabei unterstützen, die eigenen inneren Ressourcen für Heilung und Veränderung zu aktivieren.
Die Kraft der Clean Language stammt aus der Traumaarbeit
Wie kraftvoll diese Art der KlientInnen-Begleitung sein kann, erklärt sich schon aus der Entstehung der Clean Language. Die spezifischen Fragen und die Art, wie sie gestellt werden, wurde in den 1980er-Jahren vom Neuseeländischen Psychotherapeuten David Grove entwickelt. In seiner Arbeit mit Missbrauchsopfern und traumatisierten Kriegsveteranen entdeckte er, dass sie sich umso mehr in Metaphern (ihren inneren Bildern) ausdrückten, je näher sie an die Erzählung des traumatischen Ereignisses rückten. Und dass sie ihre eigenen Muster schneller erkannten und sich eine Chance für Heilung bot, je weniger er versuchte, sie zu beeinflussen. Daher entwickelte er spezielle Fragen, um ihr Erleben so wenig wie möglich durch seine eigenen Interpretationen zu „stören”, sodass nachhaltige Veränderungen aus den PatientInnen selbst heraus entstanden.
James Lawley und Penny Tompkins ergänzten Groves Arbeit und entwickelten sie zu einem erlernbaren Coaching- und Therapie-Prozess weiter. Dieser wiederum wurde von Annemiek van Helsdingen um das bewusste Raumhalten erweitert, wodurch die erholsame verkörperte Selbstwahrnehmung noch zusätzlich unterstützt wird.
Beispiel zur Clean Language
Ein kleines Fragment zur Ressourcen-Entwicklung, um Clean Language zu demonstrieren.
Die Klientin wünscht sich ein Gefühl der Sicherheit. (K = Klientin, T = Therapeutin)
T: Und was für eine Sicherheit ist diese Sicherheit, die Sie sich wünschen?
K: Das ist die Sicherheit, dass ich schon alles meistern werde, was das Leben so bringt.
T: Und gibt es da noch etwas zu dieser Sicherheit?
K: Die ist immer da, so im Hintergrund. Darauf kann ich mich immer verlassen.
T: Und wo genau ist diese Sicherheit, wenn sie immer da ist?
K: Die ist rund um mich herum, überall, wo ich hingehe.
T: Und immer da, Sie können sich immer darauf verlassen und rund um Sie herum ... und das ist wie was?
K: Das ist wie eine große, weiche Schaumstoff-Blase, in die ich mich auch hineinlehnen kann.
T: Und was für ein Hineinlehnen ist das?
K: Wenn ich mich zurücklehne, bin ich durch die Blase gehalten.
T: Und gibt es noch etwas zu dieser großen, weichen Schaumstoff-Blase?
K: Sie schützt mich, aber sie behindert mich nicht.
...
Durch die Fragen kann sich die Klientin ganz auf ihr tatsächliches Erleben fokussieren. Als die Metapher der Schaumstoff-Blase auftaucht, beginnt die Verbindung zu ihrer Körperwahrnehmung. Hier fragen wir weiter, um die Metapher auszubauen und der Klientin dabei zu helfen, in der verkörperten Erfahrung von „Sicherheit“ zu bleiben und sie besser kennenzulernen.
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